Das erste Spiel, das erste Tor, der erste Sieg!

Die weiß gekleideten Kieler am 7. Oktober 1900 am Burgfeld

Am 7. Oktober 2020 jähren sich die Gründung des Kieler Fußball-Vereins und das allererste Fußballspiel zum 120. Mal. Dass dieser Tag rückblickend als fast schon revolutionär anzusehen ist, das wissen die Wenigsten.

Vielleicht war dem jungen Georg Blaschke die Idee zur Gründung eines Fußballvereines bereits auf einer seiner zahlreichen Wanderungen in den schlesischen Bergen Ende des 19. Jahrhunderts gekommen. In jedem Falle war sein Bewegungsdrang ausgeprägt und nach seinem Umzug  von Liegnitz nach Kiel am 29. November 1897 begab sich der ehemalige Vizefeldwebel des 8. Regiments der kaiserlichen Kompanie auf die Suche nach einem neuen, sportlichen Betätigungsfeld. In der Spielabteilung des Kieler Männer-Turnvereins von 1844 fand er Gleichgesinnte. Und dort traf er einen gewissen Arthur Beier, der aus Karlsruhe nach Kiel gekommen war und gesteigertes Interesse an einer Sportart an den Tag legte, die  damals aus England kommend, an immer mehr Orten Deutschland übernommen wurde, dem Fußball.

Ein seltsamer Sport

Die „seltsame“ Begeisterung für den ungewöhnlichen Sport mit der Lederpille stieß beim Kieler Männer-Turnverein auf wenig Gegenliebe, der Fußballsport war weitestgehend verpönt und galt als roh. Jugendliche mussten die Freude an der jungen Sportart sogar zuhause vor ihren Vätern verheimlichen, Schlagball gehörte zu den anerkannten Betätigungen. Es wurde immer deutlicher, dass die Konflikte zwischen den Turnern und Fußballern kaum lösbar waren.

Der erste Fußball-„Star“ in Kiel

Erstmals hatten die „verwegenen“ Kieler Fußballer beim Gauturnfest in Preetz im Sommer 1900 einen öffentlichen Auftritt gehabt. Und sie hatten mit Blaschke-Freund Arthur Beier aus der Fußball-Hochburg Karlsruhe, der 1899 in einem der „Ur-Länderspiele“ gegen England in der deutschen Elf gespielt hat und 1909 als Kapitän seines Heimatvereins Phönix Karlsruhe Deutscher Meister wird, einen guten Lehrmeister in ihren Reihen.

Turner gegen Fußballer

Quelle: Lübecker Generalanzeiger im Oktober 1900

Drang, dem runden Leder hinterherzujagen wurde immer größer bei den Kielern. So blieb Georg Blaschke keine andere Wahl – er fasste einen für damalige Verhältnisse tollkühnen Plan. Beim Turnerrat des Vereins beantragte Blaschke, ein Fußballspiel gegen den Männer Turnverein Lübeck austragen zu dürfen. Der Rat des Männer-Turnvereins wies den Plan energisch ab und verbot jegliche Fußballspiele strengstens. Unabhängig von den Streitigkeiten in Kiel hatte der Lübecker General-Anzeiger, Vorgänger der heutigen Lübecker Nachrichten, eine angedachte Begegnung zwischen beiden Vereinen längst angekündigt: „Die Spielabteilung des Männer-Turn-Vereins hat am Sonntag ein Wettspiel im Fußball mit der Spielabteilung des Kieler Männerturnvereins v. 1844. Das Wettspiel beginnt nachmittags 3 1/2 Uhr auf dem Burgfelde und wird zweimal 45 Minuten mit viertelstündiger Pause gespielt.“

Auf nach Lübeck

Animation aus dem Film HolsteinHerz (JokerPictures, 2018)

Blaschke und seine Mitstreiter ließen sich durch das Spielverbot nicht beirren, trafen sich am Sonntag, den 7. Oktober 1900, auf dem Kieler Hauptbahnhof, lösten ihre Fahrkarten nach Lübeck und traten noch während der Zugfahrt kurzerhand aus dem Männer-Turnverein aus. Spontan wurde noch während der Fahrt der Kieler Fußball-Verein (ab 1902 1. Kieler FV) gegründet, der der früheste Ursprung der heutigen KSV Holstein ist. Blaschke wurde zum 2. Vorsitzenden bestimmt und Artur Beier zum 1. Spielführer des KFV auserkoren. Bewusst verzichtete man vorerst auf die Wahl eines 1. Vorsitzenden, Blaschke war ohnehin die treibende Kraft des Unternehmens und hatte zuvor außergewöhnliche Führungsqualitäten offenbart. Weil jedoch nur neun der elf Spieler den Akt der Rebellion – als solcher war eine Widersetzung gegen eine Anordnung des Turnrats zu sehen – vollzogen hatten und die Fahrt antraten, zeigten sich die Lübecker fair: Sie lassen ihren Spieler Waßmund bei den Kielern mitwirken, sodass das Spiel mit zehn gegen zehn ausgetragen werden konnte.

Anstoß auf dem Burgfeld

Vor dem Lübecker Pockenhof fand auf dem Burgfeld das erste Spiel statt

Auf dem Lübecker Burgfeld konnte das erste „offizielle“ Fußballspiel zwischen dem neuen KFV und der Spielabteilung des Lübecker Männer-Turn-Vereins also beginnen – ob damals schon durch einen Pfiff, das ist nicht überliefert. Umgezogen wurde sich offensichtlich in einer Räumlichkeit des Gasthofes Pockenhof, das erste Teamfoto wurde dicht neben der großen Eiche neben dem Gebäude erstellt und der Spielort sollte die große Spielfläche direkt vor dem Biergarten sein. Beim Anblick des Platzes sollen sich die Spieler, glaubt man den Erzählungen, über jede Menge Staub und Sand beschwert haben.

Tor, Tor, Toooor

Aber endlich konnte es losgehen. Benutzt wurden damals noch die modernen, englischen Fachausdrücke und so war es – wie hätte es anders sein können – der Kieler „forward“ Georg Blaschke, der in diesem Spiel das erste und einzige Tor erzielte. Darauf war Blaschke, der aufgrund seiner geringen Körpergröße oft auch „Little“ genannt wurde, immer stolz, berichten die Quellen. Zwar erwies sich der Einsatz des Lübecker Gastspielers Waßmund als wenig förderlich, aber der Sieg ging dennoch an den KFV. „Er hinderte uns mehr als er uns nützte, weil er Freund und Feind verwechselte“, erinnern sich die Kieler später. In der Berichterstattung der Kieler Neuesten Nachrichten ist aber weder vom „glorreichen“ Sieg noch von der Neugründung des Kieler FV etwas zu lesen. Anders war es in Lübeck. „Das Spiel war äußerst interessant, denn beide Mannschaften spielten sehr gut und zeigten sich gewachsen. Es siegte nach schwerem Spiel Kiel mit 1:0“, gab immerhin der Lübecker General-Anzeiger ein kurzes Statement ab.

Erst kicken, dann feiern

Interessant erscheint auch noch das denkwürdige Rahmenprogramm der Partie. „Abends hatte der Verein ein Mitgliederfest bei Herrn Cornelius im Pockenhof, welches sehr zahlreich besucht wurde. Die Kieler waren Gäste und gaben dieselben beim Scheiden laut Ausdruck über den so schönen Empfang und Verlauf, hoffend auf ein baldiges Wiederzusammentreffen“, schrieb der LGA. Denkt man an die heutige Rivalität zwischen Lübeck und Kiel, dann dürfte es freudige Wiedersehensfeiern samt Umtrunk wohl nur in den Anfangsjahren der Derbyvergangenheit gegeben haben.

Blaschkes Aufstieg

Und wie ging es mit Georg Blaschke und dem Kieler Fußball-Verein weiter nach dem Tag von Lübeck? Am 22. Oktober 1900, gute zwei Wochen nach der Vereinsgründung und dem Sieg am Burgfeld, wurde Georg Blaschke dann doch 1. Vorsitzender des KFV und bekleidete dieses Amt bis zum 26. Mai 1904. Im offiziellen Vereinslokal, dem Nordischen Hof, wurde am 29. Januar 1901 auch die erste offizielle Tracht für die Spieler festgelegt: schwarze Hosen und weiße Hemden, über denen eine schwarz-grüne Schärpe getragen wurde. Nachdem man die ersten Spiele auf der Kieler „Waldwiese“ ausgetragen hatte, stellte die Marineverwaltung den Großen Exerzierplatz für das Fußballspielen zur Verfügung. Am 22. Mai 1902 beschloss der Vorstand des KFV den Beitritt zum Deutschen Fußball-Bund.

FC Holstein wird gegründet

Spannendes hatte sich zwischenzeitlich in einer Kieler Gartenlaube am Knooper Weg ereignet. Am 4. Mai 1902 wurde von den drei Schülern Friedrich Brügmann, Walter Duden und Hans Gosch der Kieler Fußball-Club Holstein von 1902 gegründet, der zehn Jahre später die Deutsche Meisterschaft in den Norden holte. Für den Druck der jungen Vereinssatzung wurden die Väter der drei Jungen zur Kasse gebeten. Die Vereinschronik des Jahres 1910 berichtet, dass nach dem Erhalt der Rechnung eine Tracht Prügel für die Jungen fällig wurde. Das Fußballfieber von Brügmann, Duden, Gosch und ihren Mitstreitern konnte die unerwartete Abreibung allerdings nicht senken. KFV und FC Holstein sollten ab Juni 1917 als Kieler Sportvereinigung Holstein von 1900 e.V. gemeinsame Sache machen.

Der Blaschkeplatz

Der Blaschkeplatz in Kiel Gaarden

Georg Blaschke machte derweil als Fußballfunktionär Karriere, übernahm 1916 sogar ehrenamtlich und kommissarisch den Posten des geschäftsführenden Vorsitzenden beim Deutschen Fußball Bund, dessen Zentrale von 1916 bis 1927 in Kiel war. Zeitlebens setzte sich Blaschke nicht nur für seinen Verein und die Verbände ein, sondern bemühte sich auch um die gesellschaftliche Anerkennung des Fußballs sowie die Nachwuchsarbeit ein.  Ebenso vehement setzte sich Blaschke gegen den Profifußball ein. „Wir bekämpfen das Berufsspielertum aus ethischen Gründen“, wetterte Blaschke, der 1928 zum Ehrenmitglied des DFB ernannt wurde. Drei Jahre zuvor benannte der Verband Kieler Ballspielvereine den Werftspielplatz im Arbeiterstadtteil Gaarden in Blaschkeplatz um und ehrte den Fußballpionier. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges prangten die markanten Buchstaben „Blaschkeplatz“ über dem Eingangsportal in der Norddeutschen Straße. 50 Jahre später konnte der markante Schriftzug dank einer Spende der Familie Blaschke erneuert werden. Und was wurde damals aus Georg Blaschke? Inzwischen zum Stadtrat berufen, verstarb der bekannte Funktionär am 5. Mai 1929 an den Folgen einer schweren Lungenentzündung in Kiel. Die Beerdigung ging als eines der größten Trauerfeste in die Stadtgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts ein.  Als Mitbegründer und erster Torschütze wird Georg Blaschke in der Vereinshistorie für immer unsterblich bleiben.

Zurück auf dem Burgfeld

Ein Besuch auf dem Lübecker Burgfeld lässt heute nur noch erahnen, wie es damals ausgesehen haben muss. Der Pockenhof wurde bereits in den 60er Jahren abgerissen und zur linken von einem großen Schulgebäude verdrängt. Auch das Nebengebäude des Restaurants, vor dem das heute noch bekannte, erste Teamfoto mit den weißen Trikots des Kieler Fußball-Vereins fotografiert  worden war, ist längst verschwunden. Nur die stattliche Eiche, die man auf dem alten Foto am rechten Bildrand erkennt, steht heute noch stolz am gleichen Platz und spendet Schatten. Auf dem heutigen Sportplatz gegenüber der Schule, genau dort wo einst Blaschke und Co. aufliefen, kickte selbst der damalige Zweitligist VfB Lübeck unter Trainer Michael Lorkowski Mitte der 90er Jahre mangels Trainingsfläche für mehrere Monate. Und hier zettelten neun tapfere Kieler vor 120 Jahren ihre Revolution an – und wussten damals noch nicht, dass der 7. Oktober 1900 als einer der wohl wichtigsten Tage der Kieler Fußballgeschichte in die Annalen eingehen würde.

Das Burgfeld im Jahr 2020. Genau hier, vor 120 Jahren, entstand das 1. Teamfoto des Kieler Fußballvereins.

(Patrick Nawe/Holstein Kiel)

Quellen: 100 Jahre DFB (Berlin 1999), 100 Jahre Holstein Kiel (Kiel 2000), Georg Blaschke – Pionier des Fußballs (Kassel 2010), Lübecker General-Anzeiger (Lübeck, 1900)

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