Heute vor 110 Jahren: Kiel wird Deutscher Meister – Von Platzstürmen und Liebesbriefen

Am 26. Mai 1912 schrieb Holstein Fußballgeschichte. Als erster Club Norddeutschlands wurde Holstein Deutscher Meister – gerade einmal zehn Jahre nach seiner Gründung in der Gartenlaube im Knooper Weg. Zum 110-jährigen Jubiläum haben wir euch ein paar Kuriositäten rund um den sensationellen Triumph zusammengestellt.

Wie von wilden Hunden gehetzt

Platzstürme sind aktuell, zum Ende der Saison 21/22, wieder sehr präsent geworden. Dass es sich dabei um kein neumodisches Phänomen handelt, beweist ein Augenzeugenbericht vom ersten Spiel der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 1912. Im Vorrundenspiel gegen Preussen Berlin vor 5.000 Zuschauern auf der Hamburger Hoheluft lagen die Störche bis sechs Minuten vor Schluss mit 0:1 zurück. Doch dann drehten Willi Fick und David Binder mit ihren Treffern innerhalb von drei Minuten die Partie und sorgten für überschäumende Emotionen. „Ein nie enden wollender Jubelschrei schloss sich diesem heiligen Moment an. Wie von wilden Hunden gehetzt stürzte das ganze Publikum von allen Seiten auf die Sieger zu, um dieselben zu beglückwünschen und auf den Schultern vom Platz zu tragen“ (Aus dem Bericht eines unbenannten Augenzeugens in der Vereinszeitung).

Kurioses Gegentor

Während heutzutage quasi jedes Tor mit Kameras eingefangen wird, bleibt von den Treffern aus der damaligen Zeit oft nur eine Beschreibung. So auch vom 1:1, das Holstein im Halbfinale der Endrunde gegen den amtierenden Meister Viktoria 89 Berlin hinnehmen musste. „Werner hat einen Ball von Arndt gehalten und liegt auf ihm; Worpitzki, Bauer und Arndt laufen aufs Tor, Werner wird am Boden liegend förmlich in das Tor geschoben“ (Aus dem Spielbericht der Vereinszeitung).

129. Spielminute

Das Halbfinale hatte aus heutiger Sicht noch eine Kuriosität auf Lager. Denn Holsteins Siegtor (durch Binder) fiel in der 129. Spielminute. Denn als damals nach der Verlängerung und 120 gespielten Minuten noch kein Sieger feststand, war es üblich noch zweimal zehn weitere Minuten nachzuspielen, sodass man auf eine Gesamtspielzeit von 140 Minuten, also zwei Stunden und 20 Minuten, kam.

Das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft 1912 im Bild festgehalten.

Das Regelwerk

Holsteins Finalgegner Karlsruher FV, der als haushoher Favorit ins Spiel gegangen war, haderte nach der Niederlage mit dem Schicksal: Mittelstürmer Gottfried Fuchs sprang kurz nach dem Anpfiff das Knie aus dem Gelenk, sodass er nur noch als Zuschauer agieren konnte. Was die ohnehin schon unglückliche Situation noch heikler machte: Auswechslungen gab es 1912 noch nicht.

Liebesbrief

Die damals 16-jährige Teenagerin Käte Witthöft (1896 – 1990) war großer Holstein-Fan und schwärmte für Holstein-Stürmer Ernst Möller. Als dieser am 26. Mai 1912 das Tor zur Deutschen Meisterschaft schoss, befand sie sich zwar auf einem Segeltörn in Sonderburg, erfuhr aber telefonisch davon, dass Historisches geschehen war. Mit ihren Begleitern verfasste sie deshalb einen Brief: „Erich schrieb eine Karte an Ernst und beglückwünschte ihn persönlich. Wir unterschrieben natürlich. Ich: Herz. Gruß u. Glückwunsch. Am liebsten hätte ich geschrieben: Ich liebe, Ernst, ich hab dich so lieb.“ (Aus dem Tagebuch von Käte Witthöft)

Knappe Berichterstattung

Gerade einmal 74 Zeilen widmeten die „Kieler Neueste Nachrichten“ Holsteins Sieg der Deutschen Meisterschaft 1912. Erst als Holstein 1930 erneut ins Endspiel einzog, hatte sich der Stellenwert des Fußballs in der Öffentlichkeit deutlich gewandelt: Trotz Niederlage berichteten die KNN auf knapp 1,5 Seiten.

Auszug aus dem Spielbericht in „Kieler Neueste Nachrichten“

Diesen Artikel teilen

Facebook
Twitter