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Clubhistoriker und Chronik-Herausgeber Patrick Nawe im Oktober 2025 bei der 125-Jahr-Feier der KSV Holstein in der Kieler Hebbelschule.

125 Jahre Holstein Kiel: Rückblick mit Clubhistoriker Patrick Nawe

Unser Clubhistoriker Patrick Nawe hat den 125. Geburtstag der KSV Holstein inhaltlich intensiv begleitet. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, der seit 1996 für die Störche arbeitet, lässt für uns das Jubiläumsjahr noch einmal Revue passieren.

Patrick, hattest Du ein besonderes Ziel zu Beginn des Jubiläumsjahres?

Jeder Verein hat seine Mythen, Legenden und Helden. Diese Dinge schaffen Identifikation. Das ist besonders für jüngere Leute wichtig, die immer auch versuchen, Teil einer größeren Einheit zu werden. Dass Traditionsvereine einen besonderen Identifikationsraum bieten, liegt dabei auf der Hand. Dass Holstein Kiel dabei zu den besonderen Traditionsvereinen der deutschen Fußballgeschichte gehört, macht mich ein Stück weit stolz. Die Anknüpfungspunkte zur Kieler Stadtgeschichte sind ebenfalls enorm. Unsere Geschichte auch im öffentlichen Bild dauerhafter und deutlicher sichtbar zu machen, gehörte zu den wichtigsten Zielen in diesem Jahr. Und wir haben da – natürlich auch aufgrund der erheblichen Unterstützung der Vereinsführung und der Fans – wichtige Meilensteine erreicht. Die Straßenumbenennung nach unserem Meistertorschützen Ernst Möller oder auch die Platzumbenennungen im Nachwuchs-Leistungszentrum nach den drei Clublegenden Adsch Werner, Gerd Koll und Peter Ehlers rücken unsere Geschichte wieder dauerhaft in das öffentliche Bewusstsein. Dazu zähle ich auch die Rückkehr der Meistertrophäe von 1912, der Victoria. Wenn man die leuchtenden Augen vor allem der jüngeren Fans beim Anblick der wuchtigen Trophäe sieht, dann geht mir das Herz auf. 

Wie lautet demnach Dein Fazit nach dem Jubiläumsjahr der KSV Holstein?

Das sportliche Timing, zum Start ins Jubiläumsjahr in der Bundesliga zu spielen und bundesweit noch mehr im Fokus zu stehen, war ein toller Background für die Präsentation der 125 Jahre. Zahlreichen Traditionsvereinen war es nicht vergönnt, ihren Vereinsgeburtstag während einer der erfolgreichsten Phasen ihrer Historie zu feiern. Wenn in den letzten zwölf Monaten ein Stück weit die Sinne dafür geschärft werden konnten, welche Bedeutung die KSV Holstein und ihre Protagonisten seit 125 Jahren für Kiel und den deutschen Fußball haben, dann wäre eine Menge gewonnen. All diese Geschichten, Emotionen und Menschen machen den Verein und seine Geschichte schließlich aus. Ich glaube, dass wir in diesem Jahr einiges getan haben für die Stärkung des Traditionsbewusstseins des Vereins und seiner Anhänger sowie für die Identität stiftende Verbindung von Stadt und Verein. Die Störche waren, sind und bleiben ein starkes Stück Stadtgeschichte.

Worin liegt Deiner Meinung nach der besondere Wert von Fußballgeschichte?

In der modernen Welt bleibt der Fußball eine treibende Kraft, die Menschen aus allen Lebensbereichen zusammenbringt und eine universelle Sprache spricht. Seine Geschichte dient als Fundament für seine Zukunft, und seine Auswirkungen werden auch weiterhin tiefgreifend sein. Die Bedeutung der Fußballgeschichte erstreckt sich dabei natürlich weit über das Spielfeld hinaus. Der Blick auf unsere Vergangenheit ist nicht nur eine Reise durch die Zeit, sondern immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher, politischer und kultureller Entwicklungen. Die Kombination aus Geschichte, Medienevolution und Kultur sorgte auch in Kiel für eine große Popularität des Fußballs. Indem wir an herausragende Sportler, wichtige Persönlichkeiten oder auch besondere sportliche Ereignisse erinnern, schlagen wir eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart – und schaffen so eine zusätzliche Identifikation mit der KSV Holstein.

Das Chronik-Team (v.li.) Tim Cassel, Jürgen Weber, Christian Jessen und Patrick Nawe an der Hamburger Hoheluft.
Axel Möller, Andreas Köpke, Immo Stelzer, Patrick Nawe und Thorsten Neumann (v.li.) beim Bundesliga-Heimspiel gegen Bayer 04 Leverkusen im Februar 2025.

Seit 2013 ist die Arbeit an der Fußballgeschichte sogar institutionalisiert. Wie lautet die Zielsetzung?

Ein Netzwerk deutschsprachiger Fußballmuseen und Vereinsarchive wurde 2013 gegründet und ist ein Zusammenschluss von knapp 60 Vereinen, darunter auch die KSV Holstein. Zweimal im Jahr treffen sich die Vereinshistoriker an einem der Standorte. Die Ziele des Netzwerkes liegen dabei neben dem Sammeln, Bewahren, Recherchieren und der Weiterbildung auch darin, die Arbeit der Vereinsmuseen bzw. Archive insgesamt sichtbarer zu machen und damit die Bedeutung der Fußballgeschichte für die Öffentlichkeit weiter zu stärken.  Wir wollen die Wertschätzung der Gesellschaft für die Fußballgeschichte als Kulturgut steigern. Dabei nimmt auch die Bedeutung digitaler Kanäle wie Webseiten oder Social Media als Präsentationsformen für Fußballgeschichte stetig zu.

Du arbeitest nicht erst seit dem Jubiläumsjahr daran, ein Netzwerk in Sachen Vereinsgeschichte rund um Holstein Kiel aufzubauen. Welche Eckpfeiler siehst Du da?

Vor allem möchte ich die Zusammenarbeit mit wichtigen Institutionen im direkten Umfeld des Holstein-Stadions fördern. Wir haben inzwischen wieder ausgezeichnete Verbindungen zur Hebbelschule, der Grund- und Gemeinschaftsschule Kiel-Wik, der Christian-Albrechts-Universität sowie der Marine. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders der Hebbelschule danken, die im Jubiläumsjahr ein herausragender Gastgeber war. Das betrifft sowohl die 125-Jahr-Feier, aber auch die Lesung mit 200 Schülerinnen und Schülern am bundesweiten Vorlesetag.

Clubhistoriker Patrick Nawe bei der Lesung in der Kieler Hebbelschule zum Vorlesetag.

Kurz vor dem Auftakt der Bundesliga-Premiere waren Besatzungsteile der Fregatte Schleswig-Holstein zu Besuch im Holstein-Stadion. Wie waren die Reaktionen der Gäste?

Viele Besatzungsmitglieder waren angesichts der historischen Verbindung zwischen Holstein Kiel und der Marine sichtlich beeindruckt.Dass eine der erfolgreichsten Phasen der Vereinsgeschichte mitten im 2. Weltkrieg direkt auf den Einfluss der Kriegsmarine zurückzuführen ist, war vielen völlig unbekannt. Die Mischung aus Marine, Seefahrt, Fernweh, Meeresromantik und Tradition schuf in Kiel eine besondere Form der Verbindung von Militär und Fußball, wie es nur in einer Hafenstadt möglich war. Hinzu kommt, dass die Bedeutung der Marine als Teil des Alltags in Kiel in den letzten 30 Jahren stark geschrumpft ist – und dadurch ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Wenn diese durch die veränderte geopolitische Lage in Europa wieder wächst, wird die Marine vermutlich wieder zu einem festen Bestandteil des Stadtlebens und der Identität der Landeshauptstadt Kiel werden.

Mit der Chronik hast Du in diesem Jahr als Herausgeber das umfassendste Werk zur Clubhistorie veröffentlicht. Wie lautet die Kernaussage des fast 600 Seiten starken Buches?

Geschichte ist nicht nur Vergangenheit, sondern sie liegt immer auch im Hier und Heute – dass das verstanden wird, ist mir ein großes Anliegen. Durch den Bundesliga-Aufstieg, aber auch durch Pokalsiege wie Anfang Dezember im Hamburger Volksparkstadion, sorgen die Störche für echte Höhepunkte der Vereinsgeschichte. Und mit dem beschlossenen Neubau des Holstein-Stadions stößt der Verein in völlig neue Dimensionen vor. Ich bin überzeugt, dass Fußball eine Sportart ist, deren Struktur und Herausforderungen Geschichten ermöglicht, die sich mit unseren größten Ängsten und Hoffnungen verbinden. Das liegt daran, dass alle mit einer unfassbaren Spannung Spiel für Spiel auf das zentrale Ereignis hinfiebern – das Tor. Und rund um diese Faszination gibt es die allerschönsten Dinge zu berichten. Auf und abseits des grünen Rasens. Das war vor 125 Jahren so und das ist auch heute noch so.

Vielen Dank für das Gespräch, Patrick!

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