„Wir verstecken uns nicht“

Trainer Markus Anfang verspricht auch für 2018 Fußball der Marke „Holstein Kiel“

Die KSV Holstein belegt nach den ersten 18 Spieltagen in der 2. Fußball-Bundesliga mit 33 Punkten den zweiten Platz, nur einen Punkt hinter Spitzenreiter Fortuna Düsseldorf. Der Aufsteiger verlor lediglich drei Spiele, schoss die meisten Tore (37) und begeisterte durch die Art und Weise, wie er in der neuen Umgebung Fußball spielte: mutig, offensiv, mit Spaß bei der Arbeit. Im Holstein-Magazin blickt Trainer Markus Anfang auf ein beeindruckendes Jahr 2017 zurück und erzählt, was er sich von seiner Mannschaft und der Öffentlichkeit für den Rest der Saison wünscht.

Markus, hattest Du in der Winterpause ein wenig Zeit, auf dieses herausragende Jahr zurückzublicken?
Nein, ich habe mir direkt nach unserer letzten Partie beim SV Sandhausen noch die Pokalspiele angesehen, danach bin ich zu meiner Familie nach Köln gefahren. Der 24. Dezember war der erste Tag, an dem sich mein Leben nicht mehr um Fußball gedreht hat. Zwischen den Feiertagen habe ich viel Zeit mit meinen Kindern verbracht, kurz vor Neujahr stand dann die Planung für das Trainingslager an, am Neujahrstag fuhr ich schon wieder nach Kiel. Da blieb keine Zeit, um dieses Jahr einmal in Ruhe zu genießen.

Bedauerst Du das?
Es läuft mir ja nicht weg, außerdem war ich ja mittendrin. Alle, die dieses Jahr, den Aufstieg und die erste Zweitligasaison nach 36 Jahren miterleben durften, leben in einem Prozess – es geht immer weiter, der Blick richtet sich nur nach vorne. Vielleicht ist der richtige Weg auch der, sich diese Momente noch einmal dann in Erinnerung zu rufen, wenn ich sie als Außenstehender betrachten kann. In Ruhe, mit Abstand. Wenn ich irgendwann einmal nicht mehr als Trainer arbeite und mich an die Meilensteine in meiner Karriere erinnere. So wie dieses Jahr 2017 bei der KSV.

Warum hast Du Dir nach dem Saisonende noch Pokalspiele angesehen?
Mich hat beispielsweise interessiert, wie der 1. FC Nürnberg gegen eine Mannschaft wie den VfL Wolfsburg antritt. Das war ein toller Quervergleich, schließlich sind wir in dieser Saison auch schon auf Nürnberg getroffen, es wurde ein sehr enges Spiel (2:2 nach 0:2, d. Red.). Nürnberg hat es trotz der Niederlage gut gelöst, aber im Vergleich dazu war die Partie zwischen Dortmund und Bayern, zweier Top-Klubs der Bundesliga, ein Quantensprung. Das hat mir noch einmal gezeigt, wie viele Welten zwischen diesen Mannschaften und uns liegen. Mir haben diese Beobachtungen aber geholfen, einzuschätzen, was unsere Mannschaft spielt und was in Sachen Tempo und Handlungsschnelligkeit möglich ist. Die Erkenntnis ist die, dass im Fußball insgesamt noch viel Luft nach oben ist.

„Bundesliga ist kein Thema“

Holstein ist Zweiter, viele Fans träumen schon vom Durchmarsch der Störche à la Darmstadt 98 und SC Paderborn, Du auch?
Die Bundesliga ist für uns überhaupt kein Thema, das ist schlicht Utopie. Wir haben ja gerade erlebt, was uns im Vergleich mit den Top-Teams der 2. Liga fehlt, an denen sollten wir uns orientieren, nicht an der Bundesliga.

Was fehlt denn im Vergleich zu den Top-Teams?
Unter anderem ein Stadion. Und Zeit, die nötige Erfahrung. Andere Vereine sind seit Jahren etablierte Zweitligisten, da sind die Abläufe im Verein einfach optimierter als bei uns. Auf allen Ebenen. Aber mich persönlich stört das nicht, im Gegenteil, ich finde es sehr sympathisch, wie wir damit umgehen. Wir machen Fehler, lernen daraus, wachsen. Im Sommer haben wir uns noch gefragt, was wir alles brauchen, um überhaupt in unserem Stadion spielen zu können. Solche Fragen stellen sich andere Vereine gar nicht. Wir denken über Dinge nach, die für andere Vereine selbstverständlich sind. Für uns ist es beispielsweise eine besondere Sache, dass unsere Trainingsplätze besser geworden sind und im Stadion ein neuer Rasen verlegt worden ist. Und darüber freuen wir uns, weil es noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ein solcher Erfahrungsrückstand im Vergleich zu den Top-Klubs lässt sich nicht über Nacht aufholen. Aber: Wir können viel, und wir verstecken uns auch nicht.

Trotzdem, Holstein ist Zweiter, wie groß ist die Gefahr, dass rund um den Verein die Enttäuschung groß ist, wenn am Ende beispielsweise Platz sechs rausspringt?
Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit die Art und Weise anerkennt, mit der wir Fußball spielen. Und den Erfolg nicht nur nach Ergebnissen bemisst. Bisher ist es uns gelungen, uns für gute Leistungen auch zu belohnen. Das war nicht zu erwarten und ist auch keine Selbstverständlichkeit. In den letzten fünf Spielen, in denen wir einmal verloren und viermal Remis gespielt haben, war für alle deutlich zu erkennen, dass Siege in dieser Liga hart erarbeitet werden müssen. Und wenn nicht jeder auch das allerletzte Prozent aus sich herausholt, wird es schwer, Spiele zu gewinnen. Obwohl wir am Jahresende nicht wesentlich schlechter gespielt haben als zuvor, war zu erkennen, dass einige Spieler mit zunehmender Saisondauer körperlich und mental etwas nachgelassen haben. Was ich nicht dramatisch finde und auch kein Wunder ist, für viele der Jungs ist diese Liga und die Belastung eine ganz neue Erfahrung.

„Positiv denken, gewinnen wollen“

Offenbar ist es Dir aber gelungen, der Mannschaft den Willen einzuimpfen, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Wer hat Dich diese Einstellung gelehrt? Ein besonderer Trainer?
Nein, das ist eine grundlegende Eigenschaft, die in mir steckt. Ich wollte schon als kleines Kind immer gewinnen und war auch ein schlechter Verlierer. Niederlagen konnte ich nur schwer akzeptieren, ich war nie richtig zufrieden. Und wenn ich nicht gewonnen hatte, dann konnte ich es nur dann einigermaßen akzeptieren, wenn ich alles gegeben hatte und der Gegner einfach besser gewesen war. Als Trainer habe ich die Einstellung, dass es eine Verhinderungsstrategie ist, mit einem Remis zufrieden zu sein und Punkte gegen den Abstieg zu sammeln. Das ist mir fremd. Wir machen ja alle etwas, was wir lieben – wir spielen Fußball. Es geht darum, positiv zu denken, etwas gewinnen zu wollen, dafür arbeiten wir ja auch hart. Die Jungs dürfen Fehler machen, aber sie sollen alles dafür tun, um ein gutes Spiel zu machen. Haben sie das geschafft, bin ich als Trainer zufrieden. Unabhängig vom Ergebnis.

So wie in Braunschweig, als die KSV auch in den letzten zehn Minuten alles versucht hat, um das Spiel noch zu gewinnen. Auswärts, gegen eine so konterstarke Mannschaft wie die Eintracht…
…ja, das war ein solches Spiel. Schon in der Halbzeit war klar, dass es auf ein 0:0 hinausläuft, wenn wir denn damit zufrieden sind. Ich habe den Jungs in der Kabine gesagt, dass sich Rafa (Czichos, d. Red.) und Dome (Schmidt, d. Red.) den Ball in der zweiten Halbzeit 300 Mal zuschieben können, weil Braunschweig nicht auf Teufel komm raus auf Sieg spielen werden wird. Aber das wollten wir nicht. Die Jungs haben gegen einen defensiv eingestellten Gegner, der auf Konter gesetzt hat, alles versucht und waren enttäuscht, weil es nicht zum Sieg gereicht hat. Ich war nicht enttäuscht, sie hatten schließlich bis zum Schluss alles versucht und können sich nichts vorwerfen.

Lässt sich grundsätzlich feststellen, dass die Gegner sich im Laufe der Saison besser auf Holstein eingestellt haben?
Ja, viele Mannschaften haben auf unsere Art des Fußballs reagiert, deshalb ist es nun an uns, ihnen es jetzt noch schwerer zu machen, Lösungen zu finden. Wir sind schon sehr variabel, aber im Trainingslager haben wir weiter an unserer Variabilität gearbeitet. Gerade in unserem Stadion setzen viele Gegner auf eine verstärkte Defensive. Was eine Anerkennung für unser bisheriges Auftreten ist, aber auch eine Herausforderung. Bestes Beispiel war der FC St. Pauli (0:1, d. Red.), nach dem Spiel sagte mir Olaf (Janßen, damals noch FC-Trainer, d. Red.) dass er damit zufrieden gewesen wäre, einen Punkt aus Kiel mitzunehmen und er sich gar nicht so recht erklären könne, wie es am Ende dann doch drei geworden sind.

„Der Anfang war schwierig“

Überhaupt scheint sich die Wahrnehmung von Holstein Kiel geändert zu haben, oder?
Ja, anfangs haben viele wohl gedacht, dass unsere guten Ergebnisse der Aufstiegseuphorie geschuldet sind. Aber nach und nach wurde erkannt, dass es daran allein nicht gelegen hat, sondern auch daran, dass wir unserer Spielweise auch als Neuling treu geblieben sind.

Wann hast Du das Gefühl gehabt, dass Holstein Kiel auch 2. Liga kann?
Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass wir uns auf unsere Spielweise verlassen können. Die Frage war, wie schnell gewöhnt sich die Mannschaft an diese Liga, wie schnell lernt sie aus Fehlern? Dass wir nach 18 Spieltagen 33 Punkte haben werden, konnte aber keiner erwarten, auch wir nicht. Es ist auch schon in Vergessenheit geraten, dass wir nach zwei Spielen nur einen Punkt hatten und im dritten, gegen die SpVgg Greuther Fürth, mit 0:1 im Rückstand lagen. Der Anfang war also schwierig, aber trotzdem waren die ersten beiden Spiele Schlüsselspiele. Gegen Sandhausen (2:2), zum Auftakt, hatten anfangs noch einige der Jungs zu großen Respekt. Beim 3:4 in Berlin wurde deutlich, welch ein hohes Tempo in dieser Liga gespielt wird. Und, dass wir das auch gegen solche Top-Teams mitgehen können. Im Rückblick war auch der Pokalsieg gegen Eintracht Braunschweig (2:1, d. Red.), unser erster Pflichtspielerfolg in der 2. Liga, wichtig. Auch wenn Braunschweig derzeit Tabellen-Zehnter ist, diese Mannschaft gehört zu den besten der Liga. Und deshalb war es wichtig für das Selbstvertrauen, gegen eine solche gewinnen zu können.

Noch einmal zurück zum „Sieger-Gen“. Hat Dir das ein Trainer in Deiner Karriere besonders vorgelebt?
Nein, das nicht. Zu meinen aktiven Zeiten wurde unheimlich viel mit Druck und Angst gearbeitet, da ging es in erster Linie darum, keine Fehler zu machen. Kurt Jara und Jogi Löw waren die einzigen Trainer, die das ein wenig anders gehandhabt haben. Ihnen ging es auch darum, über den Spaß an der Arbeit zum Erfolg zu kommen. Ich glaube fest daran, dass das der richtige Weg ist, wer Angst hat, etwas zu verlieren, kann nicht sein ganzes Potenzial ausschöpfen.

„Wollen unserem Fußball treu bleiben“

Was gibst Du Deiner Mannschaft für die zweite Saisonhälfte mit auf den Weg?
Sie soll sich einfach weiter so präsentieren, wie sie es bisher gemacht hat. Spaß daran haben, gemeinsam Fußball zu spielen. Mutig, offensiv, mit viel Selbstbewusstsein. Ich traue ihr zu, dass sie in der Rückrunde auch ähnliche Ergebnisse erzielen wird, aber damit rechnen sollte keiner. Wir haben eine richtig gute Hinrunde gespielt, die sollte uns Rückenwind für den Rest der Saison geben.

Wie würde es Dir als Spieler von Holstein Kiel ergehen? Würdest Du jetzt von der 1. Liga träumen?
Nein. Wir haben jetzt gegen alle Gegner einmal gespielt, mein eigener Anspruch wäre der, dass ich in den Spielen, in denen es nicht ganz so rund gelaufen ist, alles abrufe was ich an diesem Tag geben kann. Mit den Erfahrungen aus den Hinspielen würde ich mich dann noch besser auf die Rückspiele vorbereiten. Ich möchte jedes Spiel so angehen, dass ich es am Ende gewinnen kann. Wir schauen nicht auf die Tabelle, das haben wir in der vergangenen Saison auch nicht gemacht und sind damit gut gefahren. Wir denken alle nicht an die 1. Liga, wir wollen in erster Linie unserer Art und Weise, wie wir Fußball spielen, treu bleiben. Das nehmen wir uns vor, aber ich kann nicht versprechen, dass wir die gleichen Ergebnisse erzielen werden wie in der ersten Saisonhälfte.

Und was erhoffst Du Dir von der Öffentlichkeit?
Ich habe das Gefühl, dass unser Weg anerkannt wird und wir mit der für einen Aufsteiger nötigen Geduld begleitet werden. Wenn ich aber einzelne Aussagen höre, dass wir als Zweiter ein Aufstiegskandidat sind, fasse ich mir an den Kopf. Das ist weit weg von der Realität und wer das sagt, hat Holstein Kiel nicht verstanden und auch keine Ahnung davon, wie wir dahin gekommen sind. Uns geht es um die Art und Weise des Auftritts. Bestes Beispiel ist für mich das Hinspiel gegen Union Berlin, das haben wir zwar mit 3:4 verloren, aber das Spiel und unser Auftritt haben viele begeistert. Und darum geht es uns in erster Linie.

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