„Bälle wie Kanonenkugeln“

Vor 50 Jahren: Am 18. April 1971 holten die Handball-Frauen der KSV Holstein in der Ostseehalle die Deutsche Meisterschaft

Für die Endrunde um die 14. Deutsche Meisterschaft im Hallenhandball der Frauen hatten sich im Frühjahr 1971 die Meister der fünf Regionalverbände Süd, Südwest, West, Nord und Berlin qualifiziert. Der Norddeutsche Meister Holstein Kiel konnte sein Halbfinale in der Halle der damaligen Timm-Kröger-Schule am Elendsredder gegen den West-Meister Bayer Leverkusen mit 7:6 für sich entscheiden und zog wie schon im Vorjahr in das Endspiel gegen den neunfachen Titelträger 1. FC Nürnberg in das Endspiel ein. Im Gegensatz zum Vorjahr, als ein Fehlpass von Leitwolf Dagmar „Daggi“ Neutze am Ende die Meisterschaft kostete, sollte die Mannschaft von Holstein-Trainer Kurt Bartels diesmal das bessere Ende für sich haben. Vor über 3.000 Zuschauern besiegten die Kielerinnen den Club mit 6:4 und holten den bis dato einzigen Meistertitel der Frauen nach Schleswig-Holstein. 50 Jahre nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft sprachen wir mit den drei Siegerinnen von damals, Dagmar Neutze (heute Hansen-Kohlmorgen), Erika Gaedicke (heute Wohlert) und Renate Reese (heute Gabriel).

Der 18. April war sicherlich ein ganz besonderer Tag für euch, erzählt doch mal…

Dagmar: Wir hatten im Jahr zuvor das Endspiel beim 1. FC Nürnberg durch einen Abspielfehler von mir knapp verloren und wollten natürlich diesmal Revanche nehmen vor heimischer Kulisse. Wir konnten es gar nicht glauben, dass am Ende über 3.000 Zuschauer in die Ostseehalle kamen. Mitunter hatten wir bei normalen Punktspielen wenig bis gar keine Zuschauer. Aber wir hatten.

Erika: Ein wunderbarer Tag für uns und eine prächtige Stimmung in der Ostseehalle. Und ich habe sogar zwei Tore geworfen. Die Kieler Jugend hat sich gegen die Nürnberger Routine durchgesetzt. Sicher auch deshalb, weil unsere Torhüterin Karin Witthinrich zwei Siebenmeter halten konnte.

Renate, Du hast damals im Endspiel nur auf der Ersatzbank gewesen, wurmt dich das im Nachhinein?

Renate: Irgendwie war ich sogar ganz froh darüber. Ich bin erst ein Jahr vorher aus Bordesholm zu Holstein gewechselt und war mächtig nervös. Das hat sich dann mit der Zeit etwas gelegt. Aber das Erlebnis und die tolle Stimmung in der Ostseehalle werde ich sicher nicht vergessen.

Als Siegprämie gab es für Euch ein Steak, titelte eine Hamburger Tageszeitung?

Dagmar: Ja, viel mehr war für uns wohl nicht drin. Eigentlich hatten wir uns ein Kaffeeservice gewünscht, aber das war dann wohl doch zu teuer. Wir fuhren nach dem Sieg gemeinsam in die Schweinsgeige hinter der Levensauer Hochbrücke und dort gab es dann ein schönes Essen für uns. Und den ein oder anderen Schnaps haben wir auch bekommen.

Erika: Und es gab damals noch nicht einmal einen Pokal. Wir haben einen Wimpel bekommen. Leider ist der vor 15 Jahren beim Umbau des Holstein-Stadions auf dem Müll gelandet.

Wie war der Stellenwert des Frauen-Handballs damals?

Renate: Das war für uns alle mehr oder weniger ein schönes Hobby. Zusammen mit meiner Schwester bin ich aus Bordesholm nach Kiel gewechselt.

Erika: Hein Dahlinger meinte damals immer, dass die Jungs zum THW müssen und die Mädels zu Holstein. Es gab ja zu der Zeit keine THW-Frauenmannschaft.

Dagmar: Und unserem Vorsitzenden Karl-Heinz Brandt waren wir eigentlich immer zu teuer. Vor allem in den Bundesliga-Jahren, in denen wir häufiger einen Tag früher anreisen mussten, sind einige Kosten angefallen. Dazu die Lunchpakete… Aber einmal hatte er einen guten Tag, da hat er uns neue Trainingsanzüge spendiert. Ihm war es immer wichtig, dass die Holstein-Mannschaften einen guten Auftritt in der Öffentlichkeit hatten.

Wir war das Vereinsleben damals bei der KSV Holstein?

Erika: Das war sehr rege. Wir haben uns recht häufig in unserer Vereinskneipe „Bei Heini“ getroffen und das war ja auch immer der Treffpunkt der Fußballer. Da gab es schon die ein oder andere Verbindung. Überhaupt war das immer ein Anlaufpunkt für uns alle und dort wurde mitunter richtig schön gefeiert.

Dagmar: Ich erinnere mich noch an den langen Tisch am Eingang, den haben wir immer belegt und für Stimmung gesorgt. Der stand ja auch am nächsten dran am Tresen!

Daggi, Du hast es mit 13 Einsätzen zu den meisten Länderspielen gebracht…

Dagmar: Ich glaube das lag auch daran, dass schon mein Jugendtrainer Werner Plewe immer mit mir Einzeltraining auf dem Föge-Platz gemacht hat. Ich erinnere mich noch gut wie er mit dem Ballnetz angeschleppt kam und mich mit auf den Platz nahm. Und das waren damals Bälle wie Kanonenkugeln, nicht so geschmeidige Dinger wie heute im Handball. Er hat mir beigebracht, wie die Torhüter denken. Ich glaube das hat mich geprägt und ich bin noch als Jugendliche in den Kader der 1. Mannschaft aufgerückt. Highlight war für mich dann natürlich die WM-Teilnahme 1973 in Jugoslawien.

Daggi, gehst du denn noch manchmal rüber in die Forstbaumschule und wirfst ein paar Bälle?

Dagmar: Das geht gar nicht mehr, ich kann mich ja gar nicht mehr richtig bewegen. Ich habe zwar noch lange in Kronshagen und Friedrichsort gespielt, aber einen Handball hatte ich ewig nicht mehr in der Hand. Mit 44 Jahren habe ich dann aufgehört, also schon vor einer ganzen Weile.

Renate: Ich habe sogar noch bis zu meinem 50. Lebensjahr in Bordesholm gespielt.

Erika: Also heute ist es bei mir eher Reha-Sport, das ein oder andere Zipperlein habe ich dann doch schon. Der Verschleiß durch den Leistungssport ist doch zu spüren.

Was nur wenige wissen, euer Meistertrainer Kurt Bartels ist der Großvater des heutigen Holstein-Fußballers Fin Bartels…

Dagmar: Wir kennen den Fin alle schon als Baby. Seine Eltern fragten mich damals sogar, ob es mich stören würde, wenn sie ihn Fin nennen würden, da ich einen Sohn gleichen Namens habe. Es ist natürlich sehr spannend, ihn Woche für Woche im Fernsehen zu sehen.

Erika: Unser Trainer hatte den Spitznamen Runden-Kurt, denn er hat uns immer ewig durch die Holstein-Halle gescheucht.

Renate: Aber wir haben auch viele schöne Feiern bei ihm zuhause in Heidkate erlebt. Wer hatte einen großen Schrank, da standen ein paar gute Flaschen drin. Und feiern konnten wir damals ziemlich gut.

Trainer Kurt Bartels, Betreuer Klaus Rohde und Spielerin Ursula Ehlert weilen leider nicht mehr unter uns. Was wünscht man sich 50 Jahre nach der Deutschen Meisterschaft?

Renate: Eigentlich ist es ja am wichtigsten, dass wir alle gesund bleiben und die Coronazeit gut überstehen.

Erika: Ich würde mich freuen, wenn der harte Kern der Handballmädels sich auch weiterhin noch treffen kann wie all die Jahre. Auf unsere Alten-Treffen möchten wir nur ungern verzichten. Und wir hoffen, dass eine Zusammenkunft anlässlich unseres Jubiläums in irgendeiner Form möglich sein wird im April.

Dagmar: Mir ist es noch einmal wichtig zu sagen, dass ich dem Verein viel zu verdanken habe. Auch wenn die Clubführung uns damals immer gern einsparen wollte, hatten wir eine wirklich tolle Zeit. Auch die Jahre in der neu gegründeten Handball-Bundesliga ab 1975 war sehr spannend.

Vielen Dank für das interessante Gespräch Dagmar, Erika und Renate. Wir wünschen euch zum 50jährigen Jubiläum der Deutschen Meisterschaft alles Gute. Und bitte richtet euren Teamkolleginnen einen lieben Gruß aus!

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