„Bedingungslos gekämpft und verteidigt!“

Am morgigen 1. September jährt sich eine der größten Kieler Pokalsensationen zum 20. Mal. Damals gelang unseren Störchen als drittklassiger Regionalligist im Elfmeterschießen vor rund 10.000 Zuschauern ein nie für möglich gehaltener Triumph gegen den Bundesligisten Hertha BSC, der mit einer wahren Startruppe angereist war. An der Seitenlinie stand bei unserer KSV mit Daniel Jurgeleit unser heutiges Aufsichtsrat-Mitglied, das damals eher aus einer Notlage heraus das Kommando übernommen hatte. Wir sprachen mit dem 58-Jährigen über einen ganz besonderen Tag der Holstein-Vereinsgeschichte.

Daniel, viele kennen Dich in Kiel als Holstein-Torjäger, sportlichen Leiter und nun als Aufsichtsratsmitglied. Deinen vielleicht größten Tag im Storchennest hast Du vor genau zwanzig Jahren allerdings an der Seitenlinie erlebt …

Daniel Jurgeleit: Das war tatsächlich ein ganz kurioser Tag damals. Nach dem 2. Spieltag in der damals drittklassigen Regionalliga erlitt unser Trainer Gerd-Volker Schock nach einem Fehlstart mit zwei Niederlagen gegen Uerdingen und Paderborn einen Hörsturz und stand fortan nicht mehr zur Verfügung. Ich sollte dann als Interimslösung zusammen mit Co-Trainer Volker Manz das Kommando übernehmen. Aber so richtig konnten wir das Ruder nicht herumreißen und als das DFB-Pokal-Spiel gegen Hertha BSC kam, standen wir ganz tief im Tabellenkeller. Überhaupt niemand hätte damit gerechnet, dass wir gegen den stark besetzten Erstligisten etwas ausrichten könnten. Aber es sollte ganz anders kommen.

Wie sah die Vorbereitung damals aus?

Daniel Jurgeleit: Wir haben versucht, das Ganze so professionell wie möglich zu gestalten. Eine Woche zuvor war ich sogar zum Bundesliga-Spiel der Hertha nach Schalke gefahren. Und wir hatten als Außenseiter einen Plan: Bedingungslos zu verteidigen, möglichst lange die Null zu halten und den Gegner in Verlegenheit zu bringen. Als wir dann kurz vor der Pause durch den Kopfball von Matthias Rose auch noch in Führung gingen, da machte Hertha sich langsam aber sicher Sorgen. Zumal wir an dem Tag mit dem ehemaligen Berliner Manuel Greil auch noch einen richtig starken Torhüter zwischen den Pfosten hatten.

Wer stand damals bei Hertha alles auf dem Rasen des Holstein-Stadions?

Daniel Jurgeleit: Zum Beispiel Nationalspieler wie Michael Preetz, Marco Rehmer, Andreas Schmidt oder auch Arne Friedrich. Dazu der frisch gebackene brasilianische Weltmeister Luizao. Nicht zu vergessen Marcelinho, der Portugiese Roberto Pinto und im Tor Gabor Kiraly. Aber auch abseits des Rasens war Hertha mit Trainer Huub Stevens und Manager Dieter Hoeneß ziemlich prominent besetzt. Irgendwie ist es uns damals gelungen, uns davon nicht beeindrucken zu lassen.

Wie sehr haben Sie an eine Sensation geglaubt?

Daniel Jurgeleit: Es war sicherlich ein Vorteil, dass ich als aktiver Fußballer solche Konstellationen kannte. Zehn Jahre vorher war ich als Spieler dabei, als wir mit dem Zweitligisten FC Homburg im Münchner Olympiastadion die großen Bayern mit Trainer Jupp Heynckes und Mittelfeldchef Stefan Effenberg im Pokal 4:2 nach Verlängerung besiegten. In der nächsten Runde dann das andere Extrem, als wir gegen Kaiserslautern im Elfmeterschießen ausgeschieden sind. Ich kam als letzter Schütze gar nicht mehr dran.

Der Sieg in München wurde großzügig belohnt damals, das ging bundesweit durch die Medien…

Daniel Jurgeleit: Unser Sponsor in Homburg, Manfred Ommer, der schon als Leichtathlet und Olympia-Teilnehmer von München 1972 von sich reden gemacht hatte, war für seine spontanen Ideen bekannt. Und er ist vor dem Pokalspiel in München ganz forsch an die Öffentlichkeit gegangen und hat der Mannschaft für einen Sieg bei den Bayern 100.000 DM versprochen. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass es wirklich dazu kommen würde. Tja, und dann kam doch alles anders und wir durften die stolze Summe untereinander verteilen. Das war natürlich das I-Tüpfelchen damals.

Auch das Elfmeterschießen der Störche gegen Hertha sollte eine äußerst ungewöhnliche Geschichte werden…

Daniel Jurgeleit: Nachdem Hertha im zweiten Durchgang den Ausgleich erzielen konnte und wir uns in die Verlängerung gekämpft hatten, sagte ich den Jungs, dass das Spiel jetzt erst so richtig losgehen würde. Wir haben uns in der Verlängerung noch einmal richtig gewehrt und konnten unser Tor sauber halten. Beinahe hätte Petr Masley sogar noch den Siegtreffer für uns erzielt. Und dann wurde unser Torwart Manu Greil zum großen Helden. Ich weiß gar nicht, ob es jemals wieder ein 3:0 im Elfmeterschießen gab im DFB-Pokal. Auf alle Fälle kam kein einziger Berliner an Greil vorbei. Und durch die Treffer von Matthias Rose, André Trulsen und Dimi Guscinas haben wir es tatsächlich geschafft.

Was passierte direkt nach dem Sieg?

Daniel Jurgeleit: Das war eine skurrile Situation. Das Holstein-Stadion stand natürlich Kopf, die Fans fluteten den Rasen, denn es war nach vielen Jahren mal wieder ein echtes Highlight für Holstein Kiel. Aber ich musste an unseren Trainer denken. Ich zog mich mit dem damaligen Co-Trainer Volker Manz in die Trainerkabine zurück und wir hofften, dass der Sieg unserem erkrankten Cheftrainer Gerd-Volker Schock ein wenig bei seiner Genesung helfen würde. Später sind wir dann aber alle zusammen in die legendäre Gastronomie zu Heini und haben bis spät abends oben im Blauen Salon gefeiert. Aber die Gedanken gingen schnell wieder Richtung Regionalliga, da hatten wir erheblich was nachzuholen. Allerdings ging das erste Spiel nach dem Pokal-Triumph in Münster gleich wieder mit 4:6 verloren. Es dauerte noch eine Weile, bis wir wieder in Fahrt kamen. Aber eines war uns damals schon klar: Der Sieg gegen Hertha war etwas für die Geschichtsbücher. Das bleibt!

Im Nachgang sagtest Du, dass es gar keine so große Überraschung für Dich war…

Daniel Jurgeleit: Dafür passiert so etwas im DFB-Pokal zu häufig. Und durch meine Erlebnisse habe ich echt dran geglaubt. Natürlich kannst du in so einem Spiel als Außenseiter keinen Hurra-Fußball spielen lassen, mitzuspielen wird in der Regel auch schwierig. Dazu gehört anfangs auch eine Menge Glück, um die Null zu halten. Die unterklassigen Mannschaften haben inzwischen aufgeholt und kennen die Tugenden, die man im Pokal in die Waagschale werfen muss. Wir haben Hertha damals mit zunehmender Spieldauer ins Grübeln gebracht. 16 Jahre später ist mir so etwas als Trainer von Weiche Flensburg mit dem 1:0-Sieg in der 1. Runde gegen den VfL Bochum noch einmal gelungen.

Gibt es heute noch Kontakte zu den Spielern von damals?

Daniel Jurgeleit: Da die meisten noch in Kiel und Umgebung wohnen, läuft man sich schon ab und zu über den Weg. Spieler wie Dimi Guscinas und Henning Hardt zum Beispiel oder auch Lollo Ilski. Alles Jungs, die in der Region verwurzelt sind.

Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Erinnerungen, Daniel!

Info: Die KSV Holstein erinnert am 1. September auf ihren sozialen Kanälen und auf der Homepage an den Pokal-Triumph am 1. September 2002 gegen Hertha BSC Berlin!

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