Marcel Rapp im Interview: „In der Einfachheit liegt das Besondere“

Seit Anfang Oktober 2021 ist Marcel Rapp Cheftrainer unserer Störche und hat seitdem maßgeblich zur positiven Entwicklung unserer Mannschaft beigetragen. Im Interview spricht der 44-Jährige unter anderem über die Zusammenstellung des Kaders, die mediale Wahrnehmung oder seine taktischen Schwerpunkte – und Rapp verrät, bei wem er gerne einmal hospitieren würde.

Seit dem Spiel bei Hansa Rostock am vergangenen Sonntag bist du der Coach, der für unseren Verein in der 2. Bundesliga am häufigsten auf der Trainerbank Platz genommen hast. Hättest du im Oktober 2021, als du dein Amt hier angetreten hast, damit gerechnet, diesen Rekord eines Tages aufzustellen?

Ich wusste das ehrlich gesagt gar nicht. Das ist zwar eine schöne Randnotiz, mehr aber auch nicht. Ich bin damals vor etwas mehr als zwei Jahren hier angetreten, um zusammen mit dem gesamten Team in ein Projekt zu starten.

Auch wenn du diese Bilanz gerade als nette Randnotiz bezeichnet hast, so gibt es in Liga zwei nur fünf Fußballlehrer, die länger im Amt sind als du. Zudem hast du deinen Vertrag unlängst vorzeitig bis 2026 verlängert. Klingt so, als ob du dich mit deiner Familie ganz wohl im hohen Norden fühlst, oder?

Ja absolut. Die Lebensqualität hier ist sehr hoch. Die Nähe zum Wasser, die tollen Strände am Ost- und Westufer sind für mich und meine Familie natürlich besonders. Und wir nutzen die wenigen freien Tage auch gerne, um uns in Schleswig-Holstein einiges anzuschauen.

Siehst du dich ob der vorzeitigen Vertragsverlängerung in deiner bisherigen Arbeit bestätigt?

Ich empfinde es als große Wertschätzung und Vertrauensbeweis seitens des Vereins. Dafür bin ich sehr dankbar. Seit meinem Start hier versuche ich, jeden Tag der beste Trainer zu sein, der ich sein kann. Und das erwarte ich auch von meinen Spielern. Ich verspüre auch weiterhin große Lust, den Weg, den wir im Sommer durch den Kaderumbruch eingeleitet haben, weiterzuführen, einen offensiv ausgerichteten und attraktiven Fußball zu spielen und damit erfolgreich zu sein.

Du hast unsere Störche im Oktober 2021 als Tabellen-15. übernommen und die Saison als Tabellenneunter beendet. Nachdem die vergangene Spielzeit als Achter abgeschlossen wurde, stand deine Mannschaft vor dem heutigen Spieltag auf Rang 3. Was brauchte es für diese positive Entwicklung?

Als erstes braucht es den Willen und die positive Energie aller, die an dieser Entwicklung tagtäglich mitarbeiten. Wir empfinden es alle als großes Privileg, jetzt im siebten Jahr Teil dieser so herausfordernden und spannenden Zweiten Liga zu sein. Gerade bei Mannschaften, die wirtschaftlich vielleicht nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie die Schwergewichte der Liga, braucht es für den Erfolg jeden Einzelnen, aber vor allem eine homogene Mannschaft, ein funktionierendes Kollektiv. Und das haben wir. Wir haben junge hungrige Spieler, die mit Enthusiasmus und Freude an die neuen Herausforderungen herangehen. Und wir haben ältere und erfahrene Profis, die die Mannschaft führen können.

Hat diese Tendenz auch damit zu tun, dass du seit deinem Amtsantritt in Absprache mit unserem Geschäftsführer Sport Uwe Stöver bei der Kadergestaltung mitwirken konntest?

Aus meiner Sicht ist es schon sinnvoll, wenn die sportliche Leitung, das Scouting und das Trainerteam bei der Kaderplanung und -zusammenstellung im engen Austausch stehen. Hier bei Holstein sitzen wir sehr regelmäßig zusammen und ich als Trainer bin in die Planungen und Prozesse eingebunden. Dadurch waren wir im vergangenen Frühjahr auch entspannt, als für die Öffentlichkeit der anstehende Kaderumbruch mehr und mehr zu einem Thema geworden ist. Wir hatten alle gemeinsam unsere Hausaufgaben gemacht und konnten unser Ziel, die „neue“ Mannschaft schon zum Trainingsstart bzw. spätestens zum Abflug ins Trainingslager beisammenzuhaben, umsetzen.

Obwohl ihr in den vergangenen Spielzeiten nie ernsthaft in Abstiegsgefahr geraten seid, gab es durchaus Phasen, in denen du dich mit medialem Gegenwind konfrontiert gesehen hast. Wie gehst du mit so etwas um?

Grundsätzlich freut es uns sehr, dass wir immer mehr Menschen hier in Kiel und in ganz Schleswig-Holstein begeistern. Und ich kann auch verstehen, dass sich durch die gute Arbeit der vergangenen Jahre die Wahrnehmung und Erwartungshaltung vielleicht ein Stück weit verändert hat. Wir alle wollen, dass Holstein Kiel erfrischenden Fußball spielt und damit erfolgreich ist. Allerdings wünschte ich mir, dass hier etwas weniger emotional und mehr objektiv einordnend berichtet wird. Es gibt im Fußball nicht nur schwarz und weiß. Eine Saison läuft über zehn Monate und es gibt verschiedene Phasen, die jede Mannschaft durchlebt. Heutzutage wird die Arbeit leider gerade medial nach zwei, drei erfolglosen Spielen sofort in Frage gestellt. Gerade in der Rückrunde der letzten Saison war das schon sehr wahrnehmbar und wir wurden jede Woche damit konfrontiert, ob unsere Zielsetzung (besser als die Vorsaison, also Platz 8) erreicht wird oder nicht. Es ging kaum noch um eine nüchterne und objektive Spielbewertung, sondern gefühlt ausschließlich um das Ergebnis.

Kommen wir auf dein Spielsystem zu sprechen. Ein Markenzeichen ist, dass die Außenverteidiger viele Tore schießen. Welche taktischen Aspekte sind dir darüber hinaus noch wichtig?

Da komme ich mal mit einem Sprichwort: In der Einfachheit liegt das Besondere. Fußball ist ein einfaches Spiel. Bei mir ist die Idee, dass wir auf dem Feld in bestimmten Zonen Überzahlsituationen kreieren, durch die wir uns dann von einer Ebene in die nächste spielen. Dabei ist das Spielsystem Mittel zum Zweck und, wenn man unsere Spiele beobachtet, sehr variabel.

Du hast es schon angesprochen: Deine Mannschaft hat im bisherigen Saisonverlauf bereits bewiesen, dass sie taktisch variabel ist – und das auch oft recht kurzfristig, wenn beispielsweise während eines Spiels umgestellt wurde. Wie wichtig ist dir diese Flexibilität?

Genau, das passt zu meiner vorherigen Antwort: Wir sind in der taktischen Grundordnung nicht festgelegt auf ein System, auf dem wir beharren. Als Fußballlehrer würde ich sagen: Wir haben gewisse Prinzipien, die in allen Systemen gelten. Runtergebrochen könnte man sagen: Es geht darum, dass wir eine gemeinsame Idee von Fußball haben, sowohl offensiv als auch defensiv.

Nimm uns mal mit in deinen Arbeitsalltag: Womit beschäftigen sich du und deine beiden Co-Trainer Dirk Bremser und Alexander Hahn neben der Trainingsarbeit noch? Wie ist die Aufgabenverteilung? Und wie läuft die Zusammenarbeit mit Spielanalyst Alexander Rudies ab?

Wir, also meine beiden Co-Trainer Dirk Bremser, Alex Hahn und auch Torwarttrainer Patrik Borger, treffen uns in der Regel morgens früh im Büro und besprechen zuallererst den Tag. Welche Schwerpunkte setzen wir im Training, welche in der Videoanalyse, welche anderen Termine stehen noch an. Dann gibt es die tägliche sportliche Runde, in der wir mit der Physiotherapie sowie den beiden Reha- und Athletiktrainern einmal den physischen Status aller Spieler durchgehen. Dann beginnt die Arbeit mit der Mannschaft, auf dem Trainingsplatz und danach in Einzelanalysen oder in Kleingruppen. Im Anschluss geht es um die taktische Vorbereitung auf das Wochenende, Gegneranalyse, unsere Ideen, aber auch um Kaderplanung, Scouting uvm. Dabei kümmert sich Alex Hahn speziell um den ruhenden Ball und bereitet die Standards vor. Bremse beschäftigt sich zusätzlich mit unserem Nachwuchs, steht regelmäßig im Austausch mit unserem NLZ und den Trainern dort. Und als weiterer sehr wichtiger Mitarbeiter ist in alle Themen unser Spiel- und Videoanalyst Alexander Rudies involviert. Ohne ihn wäre unsere Arbeit so gar nicht möglich.
Man merkt: Wir sind ein absolut eingespieltes Team und ohne die Kollegen wäre die Arbeit für mich nicht mit so viel Spaß und Freude verbunden. Daher bin ich auch wahnsinnig glücklich und allen Verantwortlichen dankbar, dass wir auch über den Sommer hinaus zusammenbleiben.

Zu dieser Saison sind mit Marko Ivezic, Carl Johansson und Shuto Machino drei internationale Neuzugänge zum Kader gestoßen. Wie klappt es bisher mit der Kommunikation? Haben sich deine Englisch-Kenntnisse seitdem noch einmal verbessert?

(Lacht) Ja, absolut. Gerade fußballspezifisch musste man sich das eine oder andere Wort aneignen, aber das ist alles schnell zur Normalität geworden. Und dennoch sprechen wir weiterhin überwiegend deutsch, in der Kabine, in Besprechungen und auf dem Platz. Allerdings übersetzt Lewis Holtby bei wichtigen Dingen simultan oder wir schnappen uns die Jungs oft noch einmal separat. Alle Drei lernen aber auch fleißig deutsch und verstehen immer mehr.

Apropos internationaler Fußball: Angenommen, du könntest dir eine kurze Auszeit nehmen und einen Monat bei einem anderen Trainer hospitieren. Wer wäre das?

Leider hat Marcelo Gallado bei River Plate aufgehört, sodass meine Wahl auf Marcelo Bielsa, den Nationaltrainer von Uruguay, fällt.

Zum Abschluss noch eine Frage an den Privatmenschen Marcel Rapp: Joggen durch den Wald, Klettern in der Boulderhalle oder Teqball spielen nach Feierabend gegen die Trainerkollegen – wie gelingt dir es am besten, einmal vom Fußballzirkus abzuschalten?

Neben der Zeit mit meiner Familie ist es schon der Sport, bei dem ich mal abschalten kann. Bouldern habe ich zwar noch nicht ausprobiert, aber ich gehe regelmäßig Joggen. Dabei höre ich Musik oder auch Podcasts. Und wir messen uns im Trainerteam auch gerne zum Feierabend mal im Teqball. Meine Leistungen möchte ich allerdings nicht kommentieren.

Danke für das Gespräch, Marcel.

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